Einige meiner Mandanten bitten mich bei der Gründung einer Gesellschaft, diese auch in dem Innergemeinschaftlichen Register, auch VIES (VAT Information Exchange System) genannt, anzumelden.
Die Anmeldung geschieht durch das Formularblatt 036 beim Finanzamt. Das Finanzamt muss dann die sogenannte innergemeinschaftliche Steuernummer (auf spanisch „Número Registro de Operador Intracomunitario“ – ROI) erteilen, was bedeutet, dass die Gesellschaft im innergemeinschaftlichen Register verzeichnet ist. Durch diesen Vorgang wird es der Gesellschaft ermöglicht, innerhalb Europas Waren oder Dienstleistungen zu erwerben, ohne die Mehrwertsteuer zu zahlen. Oder um es deutlicher zu sagen: der Erwerb erfolgt zum Netto-Preis.
Das Finanzamt erschwert die Eintragung im ROI in letzter Zeit zunehmend, was wiederum einige Mandanten nicht verstehen und in manchen Fällen zu verständlicher Verärgerung führt.
Die Gründe, weshalb das Finanzamt zunehmend skeptischer wird ist eindeutig: ein in ganz Europa zunehmender Betrug mit der Mehrwertsteuer. Einige Schätzungen gehen davon aus, dass in ganz Europa jährlich 250 Milliarden Euros hinterzogen werden. Hinsichtlich dieser Summe ist die Skepsis verständlich.
Das Finanzamt geht sogar soweit, dass ein Beamter im Rahmen des Antrages auf VIES beim Gesellschaftssitz vorspricht. Wenn der Sitz in einem Büro, wie dem meinigen ist, wird er freundlich empfangen, aber es wird deutlich, dass dies ein Steuerberatungsbüro ist und nicht der Geschäftssitz der „XYZ Gesellschaft“. Der Beamte stellt also einige Fragen, füllt sein Formular aus und bittet uns manchmal sogar beim Finanzamt selber vorzusprechen, um zu erklären, „was die Gesellschaft tatsächlich tut“ (sic).
Selbstverständlich ist die Registrierung für manche Gesellschaften und manche Handelstätigkeiten absolut entscheidend, z.B. wenn sie Waren, Möbel oder Autos aus Deutschland einführen. Aber es kommt auch vor, dass es nur um den Erwerb eines iPad in Deutschland geht und man die 19 Prozent Mehrwertsteuer sparen will.
Ich möchte deshalb eines klarstellen: Die innergemeinschaftliche Steuernummer aus Lust und Tollerei zu beantragen, weil man eventuell einiges in Deutschland kaufen möchte, ist sinnlos, vergessen Sie es! Und wenn Sie dieses Schreiben weiterlesen, werden Sie die Gründe verstehen.
Ich weiß, dass einige meiner Leser ausgesprochene „Steuer-Info-Fans“ sind und möchte Ihnen daher erklären, wie die organisierten Banden in Europa tatsächlich einen Betrug in Höhe von 250 Milliarden Euros begehen können.
Achtung!: das Folgende ist reine Information, es ist in keinem Fall als eine Anleitung zum Begehen von Straftaten zu verstehen! Jegliche Tätigkeit in diesem Sinne ist strafbar, ich lehne jede Verantwortung ab!
Der Betrug existiert seit der Einführung der Übergangsvorschriften der Mehrwertsteuer im Jahre 1992 und ist unter verschiedenen Begriffen bekannt: „missing trader fraud“ auf Englisch, „Karussellbetrug“ auf Deutsch, oder auch „verschwundener Händler Betrug“ in deutscher Übersetzung.
Zum Verständnis sei erklärt, was die Übergangsvorschriften der Mehrwertsteuer besagen. Übergangsvorschriften heißen sie, weil sie eigentlich nur 4 Jahre gelten sollten, und heute bereits 18 Jahre Anwendung finden. Wenn die Bürger wüssten, was sie dieser Übergang in diesen 18 Jahren gekostet hat, würde ein Skandal ausbrechen. Es handelt sich um einen erheblichen Aderlass der Staatskassen der von den Politikern und der Europäischen Union zugelassen wird. Rechnen Sie mal: ein Durchschnitt von 150 Milliarden Euros pro Jahr mal 18 Jahre ergeben 2,7 Billionen Euros! Grund genug, um nicht viel Wind darum zu machen. Aber ich komme vom Thema ab, wir waren bei der Mehrwertsteuer.
Jeder Verkauf von einem europäischen Land in ein anderes ist von der Mehrwertsteuer in dem Land des Verkäufers befreit. Die Rechnung an den in einem anderen Land ansässigen Käufer enthält keine Mehrwertsteuer.
Jeder Verkauf von einem europäischen Land in ein anderes unterliegt der Steuerpflicht des Erwerberlandes. Der Erwerber muss sich selbst die Mehrwertsteuer berechnen, aber da er MwSt. abzugsberechtigt ist und er sie absetzen kann, ist die Rechnung gleich 0 mit der Folge: er führt keine Mehrwertsteuer an das Finanzamt ab. Ein Beispiel: Eine spanische Gesellschaft kauft von einen deutschen Unternehmen einen Computer für 1.000 Euros, die deutsche Gesellschaft stellt eine Netto-Rechnung über 1.000 Euros aus, die von der spanischen Gesellschaft bezahlt wird. Bei Erhalt der Ware muss die spanische Gesellschaft sich selbst die Mehrwertsteuer von 180 Euros in Rechnung stellen, da sie aber gleichzeitig Erwerber der Ware ist, ist sie über dieselben 180 Euros Vorsteuer abzugsberechtigt.?
Wenn sie keine weitere Handelstätigkeit vornehmen würde, sähe die IVASteuererklärung für die spanische Gesellschaft wie folgt aus: abzuführende IVA = umgewälzte IVA – Vorsteuer (bezahlte IVA) = 180 – 180 = 0, keine Steuerzahlung.?
Sehen wir nun dasselbe mit einer teuren Ware, die leicht zu transportieren ist und große Nachfrage hat: ein Handy ist perfekt! Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum die Handys fast verschenkt werden ? Es ist kein Geschenk der Mobil-Telefon-Konzerne, sondern das Ergebnis eines Karussellbetruges. Ebenso eignen sich für diesen Betrug Gebrauchtwagen, Alkohol, Goldwaren oder Informatikmaterial.
Der Betrug funktioniert folgendermaßen:
Eine Gesellschaft (A) „Zwischengesellschaft“ genannt (conduit company), vertreibt eine Ware innerhalb Europas an einen „verschwundenen Händler“ (missing trader), (B) in einem anderen Mitgliedsland. Diese Gesellschaft (B) ist ein eingetragenes innergemeinschaftliches Unternehmen, erwirbt die Ware ohne MwSt. Und verkauft sie dann an eine dritte Gesellschaft (C) (broker), innerhalb des selben Landes. Die Gesellschaft (B) berechnet dem Broker (C) die MwSt., führt sie jedoch nicht an den Staat ab und verschwindet. Der Broker (C) beantragt beim Finanzamt eine Rückzahlung der von ihm an (B) gezahlten MwSt.. Danach kann die Gesellschaft (C) einen innergemeinschaftlichen steuerfreien Verkauf an die Gesellschaft (A) tätigen und (A) wiederum kann einen innergemeinschaftlichen steuerfreien Verkauf an die Gesellschaft (B) realisieren, wodurch der betrügerische Kreislauf geschlossen ist. Dies stellt den Begriff „Karussellbetrug“ dar.
Um die Nachforschungen zu erschweren, erfolgt der Vertrieb von (B) an (C) nicht direkt sondern über Zwischengesellschaften, sogenannte „buffers“. In manchen Fällen kann es eine Vielzahl von buffers geben, die zum Teil vielleicht sogar gar nichts von dem Betrug wissen, wenngleich sie häufig darauf aufmerksam werden durch den niedrigen Preis der Waren und die Art der Angebote. Die „missing traders“, die die Ware liefern, riechen wirklich faul. Aber die Zwischengesellschaften, die nicht direkt an dem Betrug beteiligt sind, arbeiten mit einer attraktiven Spanne und verdienen auch gut, sodass sie kein Interesse an einer Anzeige haben. Ihre Mitwirkung an dem Betrug ist schwer nachweisbar.
Die „missing trader“ Gesellschaften (B) werden kurzfristig gegründet und wieder „aufgelöst“, teilweise innerhalb ein paar Monate oder sogar weniger. Manchmal realisieren die nur einen oder zwei „Geschäfte“ und verschwinden in der Luft. Sie werden von den spanischen Finanzamtbeamten „Forellen“ genannt, weil die schwer zu fangen sind. Als Geschäftsführer diese Gesellschaften werden mittellose Strohmänner eingesetzt, wie zum Beispiel, Strassenbettler, Drogenabhängige oder ältere Personen die kein Vermögen haben. Das tun sie für ein paar zerdrückte Geldscheine auf der Hand.
Die Kette dieses Betrugs kann beliebig verkompliziert werden, sowohl auf der Ebene der „buffers“ als auch auf der Ebene der „Forellen“ oder „missing traders“. Man könnte Seiten über die verschiedenen Tricks füllen. Spanier und Italiener zeichnen sich durch besondere Fantasie aus, dicht gefolgt von Holländern und Franzosen. Nicht umsonst hatten diese Länder in der Vergangenheit große Künstler.
Am Ende der Kette wird die Ware in der Regel an eine Gesellschaft aus der Branche zu einem sehr niedrigen Preis verkauft, sodass neben dem Steuerbetrug eine Marktlage entsteht, die nicht der Wirklichkeit entspricht, und die rechtmäßig handelnde Firmen vom Markt vertreibt.?Der Betrug wird von professionellen Betrügern in großer Zahl und mit erheblichen Gewinnen durchgeführt. Für jede umgesetzte Million verdienen sie glatte 180.000 Euros (bei einem MwSt-Satz von 18 Prozent). Und genauso wie man eine Million bewegt kann man auch 100 Millionen endlos weiter bewegen. Es reicht aus, genügend Gesellschaften zu gründen ohne Aufsehen zu erwecken und dann dem Geldfluss freien Lauf zu lassen. In vielen Fällen wird die Ware sogar gar nicht bewegt, manchmal reisen nur die leeren Handykartons. Der Gewinn wird letztendlich in Steuerparadiesen gewaschen.
Die Strafen für Drogenhandel, der immerhin ein hohes Risiko darstellen, sind hoch. Aber der organisierte MwSt-Betrug ist schwer aufzudecken und die Haftstrafen sind viel geringer. Auch wenn man die gesamte KarussellKette aufdeckt, kann diese kurz danach irgendwo anders wieder neu anfangen. Werden nur die mittellosen Strohmänner der „missing traders“ oder „Forellen“ verhaftet, nützt es gar nichts. Manche leben nicht einmal in Spanien. Die wirklich Verantwortlichen der Bande aufzudecken und heranzuziehen ist fast unmöglich.
Welche Lösung gibt es ? Die Übergangsbestimmungen der Mehrwertsteuer ein für alle mal abzuschaffen ! Die innerhalb der EU vertriebenen Waren würden dann ganz normal mit MwSt. abgerechnet werden und dem Betrug wäre die Grundlage genommen.
Warum geschieht dies nicht ? Eine Einigung zwischen den Ländern hinsichtlich der Mehrwertsteuer ist schwer zu erreichen, dies vor allem wegen der unterschiedlichen Steuersätze, von 15 % in Zypern und Luxemburg bis zu 25 % in Dänemark und Schweden.?
Die Länder befürchten, dass durch das Abschaffen der Übergangsbestimmung der Handel in die Länder abzieht, deren MwSt. satz niedrig ist, weil diese dann mit einem niedrigeren Preis exportieren könnten. Die fehlende Einigung in dieser Materie ermöglich somit den Betrug.
Mein Rat an alle, die die Anmeldung als innergemeinschaftliche Händler beim Finanzamt beantragen wollen:
- Legen Sie den Gesellschaftssitz nicht in ein Geschäftszentrum oder ähnliches, oder ein Büro mit vielen Gesellschaften etc., dies ist zwar rechtmäßig, aber es kommt dem Finanzamt verdächtig vor.
- Geben Sie als Anschrift auch keine unklaren Daten an, z.B. Carretera de Andratx s/n (sin número) oder ähnliches. Die eigene Wohnung ist zwar rechtmäßig, aber ebenso verdächtig.
- Es ist wichtig, dass der Geschäftsführer anwesend und ansprechbar ist und die Verhandlungen mit dem Finanzamt persönlich führen kann, sein Auftreten ist ausschlaggebend. Selbstverständlich können Sie den Antrag über einen Anwalt, Steuerberater etc. stellen, aber ich garantiere Ihnen, dass dies den Vorgang nicht beschleunigt, im Gegenteil !
- Es ist ratsam, Proforma Rechnungen vorzulegen, die von ernsthaften ausländischen Firmen mit innergemeinschaftlichen Steuernummern ausgestellt sind. Und andererseits ernsthafte eigene Kostenvoranschläge oder Rechnungen auf innergemeinschaftliche Firmen über die zukünftige Tätigkeit zur Hand zu haben.
- Hilfreich ist es auch, Empfehlungen vorlegen zu können, sei es, dass der Geschäftsführer auch bei anderen Gesellschaften tätig und dem Finanzamt daher positiv bekannt ist, sei es, dass man nachweislich auf eine jahrelange Tätigkeit in diesem Bereich zurückgreifen kann.
- Bedenken Sie, dass Bereiche, wie Autohandel, Bürobedarf oder Mobil-Telefone „Problemwaren“ sind. Die früher übliche Sitte, ein anderes Gewerbe vortäuschend anzumelden, um die Eintragung zu erreichen, ist nicht mehr durchführbar. Das Finanzamt wird ihre Tätigkeit genauestens überprüfen.
- Die Ideallösung: einen glaubhaften Gesellschaftssitz, leicht zu finden und gut beschriftet, ein ausreichendes Lager, Anmeldung von Telefonlinien und sonstigen Versorgungsleitungen und ein professioneller Geschäftsführer mit seriösem Auftreten.